Ursachen für den Hausarztmangel aus Sicht eines Hausarztes
Die Gründe für den sich immer weiter verschärfenden Hausarztmangel liegen klar auf der Hand. Um hier nachhaltig und effektiv Verbesserungen herbeizuführen, wären erhebliche Einschnitte in unser ambulantes Gesundheitssystem notwendig, was zwar seitens Politik und KVen erkannt, aber tunlichst vermieden wird. Kaschiert werden soll der existierende Mangel mit Maßnahmen wie "Landarztquoten", die mittel- und langfristig das Berufsbild "Hausarzt" jedoch nur noch unattraktiver machen. Mittelmäßige Abiturienten (die per se nicht ungeeignet für den Arztberuf sind!) sollen einen Knebelvertrag eingehen: Medizinstudienplatz gegen die Verpflichtung, eine Landarzttätigkeit aufzunehmen. Hier wird die fehlende Attraktivität des Berufsbildes "Hausarzt" amtlich zementiert und für jeden erkennbar. Die guten Abiturienten werden "Facharzt", die schlechteren dürfen "nur Hausarzt" werden. Welcher kurzsichtige Politiker denkt sich so etwas nur aus?
Doch fangen wir ganz vorne an: Mit der antiquierten begrifflichen Trennung von "Hausarzt" und "Facharzt" beginnt das Missverständnis. Auch der Facharzt für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin hat ja eine lange Facharztausbildung hinter sich gebracht, eine Facharztprüfung bestanden und ihm wurde eine Facharzturkunde ausgehändigt. Nun darf er sich aber im KV-Sprech nicht als Facharzt sondern "Hausarzt" bezeichnen lassen.
Was hat der Begriff "Hausarzt" im Jahr 2023 für eine Bedeutung? Hausbesuche? Haus- und Hofarzt? Die Bezeichnung "Hausarzt" gehört abgeschafft, sie ist negativ konnotiert – insbesondere bei Medizinstudenten und Jungärzten. Patienten verbinden damit einen Arzt, der immer für sie da ist, sich um alles – auch um Kleinigkeiten – kümmert. Also: Wir sind Fachärzte für Allgemeinmedizin, Fachärzte für Innere Medizin, Spezialisten für Primärmedizin. Aber keine "Hausärzte". Als interdisziplinär ausgebilderter Generalist muss der Hausarzt im Laufe seines Berufslebens lernen, dass er – gesteuert durch den EBM – immer weiter in die Rolle eines unkompliziert verfügbaren Sozialarbeiters, Verwalters und Gesundheitserziehers gedrängt wird. Eine während der klinischen Facharztausbildung mühsam angeeignete Expertise in technischen-medizinischen Untersuchungen kann er nicht anwenden, da diese gar nicht oder nicht annähernd kostendeckend bezahlt wird. So verlernt er diese Expertise wieder und muss sich stattdessen mit Patientenverwaltung (DMP), Bescheinigungen (AU), Koordinierung von Multimorbidität, Erstellung von Medikamenteplänen, Ausfüllen von Anträgen und womöglich noch Abarbeitung von "fach"ärztlichen Arbeitsaufträgen zufriedengeben. Das ist nicht sexy, das kann unmöglich das Berufsziel von Medizinstudenten sein.
Der Hausarzt benötigt analog zum Facharzt attraktive Alleinstellungsmerkmale bzw. exklusive Rechte, ärztliche Handlungen durchzuführen, die nur ER durchführen und abrechnen kann. Statt Herzkatheter, MRT oder Dialyse hätte er zum Beispiel in einem – ökonomisch zweifelsfrei sinnvollen – obligaten Primärarztsystem das Recht, die Patienten zuerst zu sehen und, falls in seinem Ermessen notwendig, die Patienten den untergeordneten Fachärzten weiterzuleiten. Er wäre – wie fast überall in Europa – Chef im ambulanten Gesundheitssystem und nicht Notnagel und Dienstleister. Ein ambulantes System der unregulierten, komplett ungesteuerten "freien" Arztwahl führt nämlich unweigerlich dazu, daß der Hausarzt in diese Rolle gedrängt wird.
Nicht zuletzt das Thema Geld: Hartnäckig behaupten die KVen, der Hausarzt verdiene ja gar nicht so schlecht. Das mag sein, aber: Der (v.a. städtisch tätige) Facharzt verdient viel besser. Die Privateinnahmen werden seitens der KV standhaft ausgeklammert, obwohl diese teilweise bis zu 50 % des Gesamteinkommens eines Facharztes betragen. Er verdient also damit auf seinen GKV-Ertrag teilweise das Doppelte nochmal obendrauf. Und das ist auch für junge Ärzte sicht- und fühlbar. Und wird mit Anerkennung, Wertschätzung und Erfolg assoziiert. Bezüglich der Gesamteinkommen der niedergelassenen Facharztgruppen müssen die Karten dringend offen auf den Tisch, was mittels Analyse der Ärztekammerbeiträge problemlos möglich wäre, aber niemand wagt.
Neben Landarztquoten sorgen auch Niederlassungsprämien der KV für eine weitere Ruinierung des Berufsbildes Hausarzt. Diese Maßnahmen sind schädlich und feige. Sie zeigen, dass die Entscheider nicht gewillt sind, Grundsätzliches zu ändern und die Rahmenbedingungen für eine hausärztliche Tätigkeit nachhaltig zu bessern.
Offenbar soll keinem der Player zugemutet werden, Federn zu lassen. Anscheinend leisten Lobbyisten hier ganze Arbeit.
Das Berufsbild des Haus- bzw. Primärarztes hätte alle Vorraussetzungen erstrebenswert und hochattraktiv zu sein. Man muss dieses Berufsbild nur pflegen und darf es nicht missbrauchen.